Experten geben Rat: Produkttransparenz

Interview mit Prof. Dr. Lucia A. Reisch, Ökonomin und Verbraucherforscherin

Experten geben Rat: Produkttransparenz

Frau Prof. Dr. Lucia A. Reisch ist Ökonomin und Verbraucherforscherin. Seit 2006 hat sie eine Professur für „Interkulturelle Konsumforschung und Verbraucherpolitik“ an der Copenhagen Business School, Department for Intercultural Communication and Management. In aktuellen Forschungsprojekten (EU, national) beschäftigt sie sich mit Verbraucherpolitik, Nachhaltigem Konsum, Material- und Ressourceneffizienz, nachhaltige Energienachfrage und -produktion; Nachhaltige Mode; Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen sowie Verbraucher- und Ernährungspolitik. Bis 2011 war sie Mitglied und Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats für Verbraucher- und Ernährungspolitik des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

haut.de: Frau Professor Reisch, Sie sind ausgewiesene Expertin für das Thema Verbraucherpolitik. Im Rahmen von EU-Forschungsprojekten beschäftigen Sie sich mit diesem Handlungsfeld. Welche Maßnahmen im Sinne der Verbraucherkommunikation und –aufklärung halten Sie zukünftig für dringlich?

Prof. Reisch: Eine notwendige Entwicklung im Bereich der Verbraucherkommunikation zeichnet sich schon seit geraumer Zeit ab: Zukünftig wird nach meiner Auffassung ein klares Labeling für Produkte nötig sein. Die Vielzahl der derzeit anzutreffenden Label stiftet eigentlich beim Verbraucher eher Verwirrung, mitunter auch Skepsis. Ein Label soll ja möglichst durch knappe Wort- und Bildzeichen eine besondere Qualität des Produktes oder der Dienstleistung verdeutlichen. Generell haben Label eine wichtige Funktion im Feld der Marktinformationen für den Verbraucher, aber wenn jeder Hersteller oder Anbieter ein eigenes „Gütesiegel“ verwendet, mit jeweils unterschiedlichen Bewertungskriterien, dann ist die Verlässlichkeit des Labels nicht in jedem Fall gegeben. Abhilfe aus diesem Verbraucherdilemma könnte ein so genanntes Vertrauenslabel schaffen, das zertifiziert ist. Also von unabhängigen Institutionen geprüft oder auch verliehen wird, dadurch könnte für Verbraucher eine glaubwürdige Produkttransparenz geboten werden. Das würde aber auch heißen, dass übliche „Industrielabel“, wie sie mittlerweile anzutreffen sind, kaum noch Beachtung finden würden.

Für einen weiteren Bereich der Verbraucherkommunikation sehe ich zukünftig Handlungsbedarf. Dabei geht es primär um Werbebotschaften, die mit „falschen Versprechen“ argumentieren. Hier wird, wie sich das in einigen Bereichen schon andeutet eine stärkere staatliche Regulierung erforderlich sein, um Verbraucher eindeutig und wahrheitsgemäß zu informieren.

haut.de: Schon seit Ende 1997 werden die Inhaltsstoffe kosmetischer Produkte in allen Ländern der Europäischen Union einheitlich gekennzeichnet. Grundlage bildet die so genannte „INCI-Nomenklatur“ (International Nomenclature Cosmetic Ingredients). Diese Kennzeichnung informiert im Detail über die Bestandteile kosmetischer Mittel. Wie bewerten Sie diese Verbraucherinformation im Sinne der Produkttransparenz für Verbraucher?

Prof. Reisch: Die Kosmetikbranche ist bezüglich der Produkttransparenz sicher ein Vorbild, denn schon seit längerer Zeit werden die INCI-Informationen ja zur Verfügung gestellt. Ich halte dies für einen sehr guten Service, der vor allem für spezielle Verbrauchergruppen, eben Allergiker oder Menschen, die es ganz genau wissen wollen, sehr hilfreich ist. Der Detailreichtum dieses Angebotes im Internet ist vor allem für Beratungsinstitutionen und Verbraucherorganisationen sehr hilfreich. Allerdings ist für die gezielte Nutzung der INCI-Datenbank ein gewisses Maß an Verbraucherkompetenz erforderlich, denn die Fachbegriffe zu den Inhaltstoffen sind ja nicht unbedingt jedermanns Sache. Aber im Sinne der Produkttransparenz ist dieses Phänomen ja auch bei anderen Produkten durchaus anzutreffen, so etwa bei Lebensmitteln oder pharmazeutischen Produkten. Auch hier ist die Beratungsleistung ja mitunter erforderlich. Ich denke, vielen Verbrauchern ist der Zugang zur INCI-Liste und damit zur Wirkung und Funktion von Inhaltsstoffen in kosmetischen Mitteln gar nicht bekannt. Hier könnte ein weiterer Schritt in Richtung Verbraucheraufklärung liegen.

haut.de: Gibt es nach Ihrer Einschätzung Maßnahmen, die von Herstellern kosmetischer Produkte ergriffen werden sollten, um die Transparenz ihrer Produkte noch weiter auszubauen?

Prof. Reisch: Aus Sicht der Verbraucherpolitik ist mir eine Empfehlung zunächst ganz wichtig und zwar die Trennung zwischen Produktinformationen und Werbung. Denn bei diesen beiden Feldern der Verbraucherkommunikation geht es um Informationsebenen, die sich hinsichtlich Nützlichkeit, Nutzbarkeit und Nutzung unterscheiden. „Gute Verbraucherinformationen“ sind dann wirklich gut, wenn sie bei (Kauf)-Entscheidungen zur Verfügung stehen und eine Differenzierung der Angebote ermöglichen, denn Verbraucher haben durchaus unterschiedliche Bedürfnisse und außerdem unterschiedliche Ressourcen, finanzieller Art.

Oft wird zu wenig berücksichtigt, dass viele Einflussgrößen bei der Verbraucherinformation eine Rolle spielen. Es ist ein Unterschied, ob die Ware zum Selbstbedienung im Supermarkt, im Online-Shop oder während eines Verkaufsgespräches angeboten wird. Ein weiterer Faktor von Verbraucherinformationen ist ihr Umfang. Können die alle auf der Verpackung untergebracht sein oder ist es als Ergänzung für besonders interessierte Verbraucher ratsam, weitere Informationen möglichst leicht auffindbar im Internet zu präsentieren oder in Form einer Broschüre anzubieten, – dann eventuell aber mit begrenztem werblichem Auftritt.

Zum Labeling habe ich schon etwas gesagt, dennoch würde ich hier den Bereich der Naturkosmetik gerne explizit erwähnen. Hier wäre für den Verbraucher ein eindeutiges, zertifiziertes Label sehr hilfreich. Die derzeit vorhandenen Gütezeichen für Naturkosmetik, mit den jeweils unterschiedlichen Kriterien der Hersteller oder Zusammenschlüsse sind für den Verbraucher nicht unbedingt hilfreich.

haut.de: Liegen Ihnen Studienergebnisse vor, die zeigen, wie sich eine aktive Verbraucherkommunikation und eine optimale Produkttransparenz auf das Konsumverhalten der Verbraucher auswirken?

Prof. Reisch: Den Verbraucher oder die Verbraucherin gibt es in dem Sinne nicht. Das ist eine zentrale Erkenntnis zum Konsumverhalten. Konsumenten haben unterschiedliche Vorlieben, Stile und auch unterschiedliche Erwartungen bezüglich der Produkte und eben auch der Produktinformationen. Es gibt fast für jede Produktgruppe, also Kosmetik, Automobil, Lebensmittel und so weiter, je nach Branche Verbrauchergruppen, die außerordentlich interessiert und engagiert sind. Aber auch solche, die mit grundlegenden Informationen zu Produkten zufrieden sind. Diese unterschiedlichen Präferenzen sollten sich in der Kommunikationsstrategie zu einem Produkt auf wiederfinden. So gilt es für den „schnellen Käufer“, eine Produktbotschaft zu formulieren, die eher den Charakter einen glaubwürdigen Reduzierung auf das Wesentliche hat. Für andere Verbrauchergruppen ist es besser, „so viel Information wie möglich“ zur Verfügung zu stellen. Für andere, vielleicht etwas Interessiertere liegt die besondere Wertigkeit eines Produktes eventuell eher im Label oder auf Ergebnissen von Produkttests, wie von Stiftung Warentest.

Die Tatsache, dass Konsumenten sich mehr für Inhaltsstoffe von Produkten interessieren, dass man seine Erfahrungen mit Produkten mitteilen möchte, das Qualitätsberichte gefragt sind, zeigt sich an der Nutzung entsprechender medialer Angebote, sei es „Lebensmittelklarheit“, Stiftung-Warentest oder die Label-Online-Suche der Verbraucherinitiative. Wenn die Produkttransparenz nicht glaubwürdig vom Hersteller geliefert wird, finden Verbraucher in derartigen Angeboten die gesuchte Information. Dieser Trend wird sich, so meine Einschätzung, weiter fortsetzen, unabhängig von irgendwelchen Skandalen und gesetzlichen Regelungen.

Quelle: haut.de

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