Alles nur Panikmache oder was ist dran an gefährlichen Chemiecocktails in der Kosmetik?

Interview mit Prof. Dr. Walter Krämer, Technische Universität Dortmund, Fakultät Statistik

Alles nur Panikmache oder was ist dran an gefährlichen Chemiecocktails in der Kosmetik?

Herr Professor Krämer ist Hochschullehrer für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund und seit 2008 Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Zu einem seiner Forschungsschwerpunkte gehört der Bereich Gesundheitsökonomie, zum Beispiel mit der Fragestellung: Wohin treibt der moderne Medizinbetrieb? Die Frage, inwieweit durch statistische Betrachtungen und deren Interpretation in der medialen Berichterstattung Möglichkeiten der Manipulation und eventueller Panikmache gegeben sind, ist sein zentrales Themengebiet.

Hintergrund:
Hinsichtlich einiger Inhaltsstoffe von kosmetischen Mitteln, die europaweit zur Verwendung in den Produkten konzentrationsabhängig zugelassen sind, entsteht bei einigen Verbrauchern Verunsicherung. Es wird ein befürchtetes Risiko für gesundheitliche Gefährdungen unterstellt und der „Verzicht“ auf einige Inhaltstoffe präferiert. Dies ist Anlass für haut.de, über Ängste und Panikmeldungen mit dem Experten Professor Walter Krämer zu sprechen.

haut.de: In den Medien wird regelmäßig über „gefährliche“ Inhaltsstoffe in Kosmetik berichtet. Auslöser dieser Berichte sind in vielen Fällen neue Erkenntnisse aus Studien, die bestimmten Stoffen eine Gesundheitsgefährdung unterstellen. Haben Sie den Eindruck, dass diese Art von Studien zugenommen hat? Wie kommt das nach Ihrer Einschätzung zustande?

Prof. Krämer: Leider gibt es dazu keine offiziellen Statistiken, aber nach meiner Einschätzung hat sowohl die Menge an Gefährdungsstudien als auch die Menge der Journalisten und Medien zugenommen, die darüber berichten. Es gibt schließlich immer mehr Wissenschaftler und Wissenschaftsjournale – und diese wollen beschäftigt beziehungsweise gefüllt werden. Dazu eignen sich Panikstudien in perfekter Weise. Die Panikmacher selbst haben ein Interesse daran, den Leuten Angst zu machen. Manche Organisationen und Medien haben ein Geschäftsmodell daraus entwickelt, die Ängste der Menschen für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, wie zum Beispiel Öko-Test. Mit ihrem Alarmismus treiben sie die Bürger und die Politik vor sich her und sorgen dafür, dass wir Milliarden für Dinge verschwenden, die wir an anderer Stelle sehr viel sinnvoller einsetzen könnten.

haut.de: Verbraucher reagieren verständlicherweise verunsichert, wenn sie Berichte über „krank machende“ Kosmetika lesen oder hören. Dagegen finden Erklärungen auf der Basis von fundierten wissenschaftlichen Belegen kaum Gehör. Woran liegt es, dass vermeintlichen Gefahren in unserer heutigen Gesellschaft so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird?

Prof. Krämer: Dass die Leute selbst so leicht in Angst verfallen, liegt an der genetisch programmierten Furcht vor Giften aller Art. Diese Angst war durchaus berechtigt, solange diese gefährlichen Stoffe nur dann entdeckt werden konnten, wie deren Dosis wirklich tödlich war. Bei den heute nachweisbaren Minimengen sind die aus der Evolution übrig gebliebenen und ehemals nützlichen Panikreaktionen jedoch völlig absurd.

Zum anderen gibt viele Gefahren, die die Menschen nicht verstehen. Und vor diesen Gefahren haben die Menschen viel mehr Angst als vor solchen, unter denen sie sich etwas vorstellen können. Deshalb fürchten sie sich mehr vor dem Krebs – als vor dem Herztod, an dem doppelt so viele Menschen sterben. Unter dem Herzen kann man sich etwas vorstellen, der Krebs dagegen befällt einen auf eine unheimliche Weise. Auch das Gefühl, keine Kontrolle ausüben zu können, spielt für das gefühlte Risiko eine große Rolle.

Hinzu kommt: Menschen handeln oft intuitiv. Die Intuition steht dem Menschen sofort und mühelos zur Verfügung, die Nutzung des Verstandes erfordert dagegen Zeit und Mühe. Deshalb fürchtet sich der Mensch vor Risiken, die ihm unheimlich vorkommen, mögen sie auch noch so selten eintreten. Gleichzeitig ignoriert er Gefahren, die statistisch viel bedeutender sind, bei ihm aber keine Ängste auslösen.

haut.de: Wie können Verbraucher durchschauen, was echte Information und was Panikmache ist? Welchen Beitrag können die Hersteller leisten?

Prof. Krämer: Die Verbraucher sollten bei Panikmeldung immer genau hinsehen, ob auch Grenzwerte und Mengen genannt werden. Ein großer Teil der Panikmeldungen berichtet nur über den Fund, aber nicht wie gefährlich das Ergebnis tatsächlich für unsere Gesundheit ist. Denn dann müsste man ehrlicherweise zugeben, dass die gefundene Menge weit unterhalb jeglicher Gefährdungsgrenze liegt.

Mit der Deklaration von Inhaltsstoffen auf der Verpackung von kosmetischen Produkten steht dem Verbraucher eine wichtige und eindeutige Informationsquelle zur Verfügung. Allerdings sind diese Begriffe und Bezeichnungen für viele nur schwer zu verstehen. Zu erklären, welche Aufgaben diese „chemischen“ Stoffe oder auch die „natürlichen“ Inhaltsstoffe in einem Produkt haben, ist meines Erachtens eine wichtige Aufgabe der Verbraucheraufklärung. Hier können die Hersteller mit dazu beitragen, dass die Verbraucher besser verstehen, warum bestimmte Stoffe in einem Produkt enthalten sind. Ansonsten besteht die Möglichkeit, dass Verbraucher auch exakte Informationen fehlinterpretieren und Panikmeldungen auf fruchtbaren Boden fallen.

Herzlichen Dank für das Interview!

Informationen zu Inhaltsstoffen kosmetischer Mittel bietet die „COSMILE-App

Quelle: haut.de

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