Experten geben Rat: Neurodermitis – Gezielte Hautpflege ist ein wichtiger Baustein, um die typischen Symptome zu lindern

Interview mit der Expertin Frau Sonja Dargatz, Deutscher Neurodermitis Bund e.V.

Experten geben Rat: Neurodermitis – Gezielte Hautpflege ist ein wichtiger Baustein, um die typischen Symptome zu lindern

Bei Neurodermitis ist das Gleichgewicht der Haut irritiert und die notwendige Barrierefunktion der Haut ist gestört. Je nach Entzündungsgrad, Jahreszeit und persönlichen Vorlieben der Betroffenen sind gezielte Pflegemaßnahmen sinnvoll, die insbesondere zur Linderung der Symptome beitragen.

haut.de: Frau Dargatz, Hautärzte und Hautärztinnen, und insbesondere von Neurodermitis Betroffene bezeichnen die chronische Erkrankung „Neurodermitis“ als Teufelskreis aus Jucken und Kratzen. Was sind die typischen Symptome und welche Ursachen liegen der Neurodermitis zugrunde?

Sonja Dargatz: Von Neurodermitis betroffen zu sein, bedeutet, an einer chronischen und sichtbaren Hauterkrankung zu leiden, der verschiedenste Ursachen zugrunde liegen: Die Hautbarriere und ebenso immunologische Prozesse sind gestört, gleichzeitig finden sich auch Veränderungen im Mikrobiom. Damit handelt es sich also um ein komplexes multifaktorielles Geschehen, das in der Regel schubhaft über die Lebensspanne auftritt. Auch verändern sich oft über die Zeit hinweg die Prädilektionsstellen, also die Areale, auf denen die Neurodermitis sich typischerweise manifestiert, dies wird vor allem im Vergleich zwischen betroffenen Kindern und Erwachsenen deutlich. Zudem kann es dabei zum sog. atopischen Marsch kommen, d.h. dass infolge des Barriere-Defektes der Haut und der Neurodermitis Betroffene auch Asthma, Nahrungsmittelallergien oder eine allergische Rhino(konjunk)tivitis entwickeln können. Diese Krankheitsentwicklung wird auch als Etagenwechsel im Körper bezeichnet.

Wenn Sie nach typischen Symptomen fragen, so wird deutlich, dass es sich bei der Neurodermitis zumeist um mehr als eine Kurzgeschichte oder Episode im Leben von Betroffenen handelt: Kommt es infolge der gestörten Hautbarriere dazu, dass unerwünschte Stoffe / Substanzen die nun leider dysfunktionale Grenze überwinden können, so entstehen Entzündungen und damit einhergehend die typischen Rötungen der Haut und quälender Juckreiz (Pruritus). Nun nimmt der bekannte Juck-Kratz-Zyklus seinen verhängnisvollen Verlauf, da man durch das Kratzen zunächst eine kurzzeitige Entlastung spürt, jedoch sich selbst – unbedacht – weitere Verletzungen auf der ohnehin gereizten und geschädigten Haut hinzufügt, was wiederum zur Folge hat, dass weiterer Juckreiz entsteht. So kommt man nur schwer wieder aus dem Juck-Kratz-Zyklus heraus, der häufig während der Schlafenszeit auftritt und Ein- wie Durchschlafstörungen und daraus folgend starke Müdigkeit am Tage bedingen kann. Auf diese Weise können also sowohl die Lebensqualität als auch die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt werden.

Neben weiteren Hautinfektionen sind allergologische und psychische Komorbiditäten häufig, d.h. es treten zur diagnostizierten Neurodermitis als Grunderkrankung auch weitere Begleiterkrankungen auf wie z. B. Allergien, Depressionen etc.

haut.de: Wie viele Menschen sind in Deutschland von Neurodermitis betroffen?

Sonja Dargatz: Laut Angaben aus der S2k-Leitlinie Neurodermitis (*1), welche seit ihrer ersten Veröffentlichung im Jahr 2008 selbstverständlich Aktualisierungen erfahren hat, sollen in Deutschland „rund 23 % der Säuglinge und Kleinkinder, 8 % der Schulkinder und 2 bis 4 % der Erwachsenen Gesundheitsleistungen aufgrund der Neurodermitis“ beanspruchen. Damit wird deutlich, dass es sich um eine häufig auftretende und chronisch-rezidivierende Hauterkrankung im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter handelt, deren Sichtbarkeit eine hohe Belastung für die Betroffenen darstellt, da es leider immer noch zu Stigmatisierungen oder falschen Zuschreibungen kommt wie: „Ihh, ist das ansteckend?“

* S2k-Leitlinie Neurodermitis (*1); Eine S2k-Leitlinie ist eine konsensbasierte Leitlinie („k“), die einen strukturierten Prozess der Konsensfindung durchlaufen hat.  – Die Leitliniengruppe sollte repräsentativ für den Adressatenkreis sein. Vertreter der zu beteiligenden Fachgesellschaften oder anderer Organisationen werden frühzeitig in die Leitlinienentwicklung eingebunden.

haut.de: Im Zusammenwirken mit Hautärzten können Betroffene die Erkrankung dermatologisch behandeln, also die Symptome lindern. Welche Maßnahmen einer gezielten Hautpflege sind aus Ihrer Sicht präventiv und therapeutisch angezeigt, um die Hautbarriere zu unterstützen?

Sonja Dargatz: Bei einer chronischen Hauterkrankung wie der Neurodermitis ist die tägliche, auf die individuellen Bedürfnisse der Haut abgestimmte Basispflege das A & O, die in der sog. Stufentherapie ab Stufe 1 empfohlen wird. Hier gilt es also, gezielt bekannte Auslöser zu meiden, die einen Schub bewirken  könnten, und der Haut täglich je nach Hautzustand eine therapeutische Basispflege zukommen zu lassen, die im passenden Verhältnis rückfeuchtende und rückfettende Substanzen beinhaltet. Auf diese Weise kann die Anzahl und die Dauer der Schübe reduziert werden.

Bei der Betrachtung des Hautzustandes betroffener Personen wird in unterschiedliche Stufen differenziert. Kommt es infolge eines Schubs zu „leichten“ (Stufe 2), „moderaten“ (Stufe 3) oder „schwer ausgeprägten Ekzemen“ (Grundlage: S2k Leitlinie Neurodermitis), werden zusätzlich zu der auf den jeweiligen Hautzustand abgestimmten Basistherapie verschreibungspflichtige medizinische Therapien erforderlich.

Leider – und das ist das Paradoxe daran – gehen seit der Einführung des GKV-Modernisierungsgesetzes 2004 (GKV = Gesetzliche Krankenversicherung) und den damit einhergehenden veränderten Belastungsgrenzen in Bezug auf medizinische Kosten eben diese für die medizinisch erforderliche Basispflege zu Lasten von chronisch Hauterkrankten mit Neurodermitis.

Die therapeutische Hautpflege stellt bei Neurodermitis eine notwendige Maßnahme dar, da, wie ich bereits erwähnte, eine Störung der Hautbarriere und immunologischer Prozesse sowie Veränderungen im Mikrobiom vorliegen. Diese unterscheidet sich also deutlich von der alltäglichen Hautpflege eines hautgesunden Menschen, denn um die betroffenen, oftmals auch großflächigen Areale adäquat zu versorgen, wird empfohlen, täglich adäquate Hautpflegeprodukte zu verwenden. Je nach betroffenem Hautareal sind hier Augenpflege, Kopfhautpflege, Körperpflege, Fuß- oder Handpflege o. Ä. erforderlich, die verträgliche rückfettende und rückfeuchtende Substanzen in individuell passendem Verhältnis und keine Duft- und Konservierungsstoffe enthalten. Je nach Hautzustand, Jahreszeit oder Alter etc. kann dieses Verhältnis variieren. Dazu kommen passende verträgliche Dusch- wie Badezusätze, Deodorants und Dermakosmetika.

Eine Umfrage unter den Mitgliedern des Deutschen Neurodermitis Bundes e. V. (DNB) verdeutlicht, dass Betroffene jeden Monat im Durchschnittlich ca. 70 bis 100 Euro für ihre notwendigen Basispflegeprodukte ausgeben. Gerade deshalb hat der DNB eine digitale Petition über das Portal change.org gestartet, im Rahmen derer gefordert wird, dass therapeutische Hautpflegeprodukte unabhängig vom Lebensalter von den gesetzlichen Krankenversicherungen zu tragen sind, und nicht wie seit der 2004 eingeführten Kürzungen nur bis zum 12. Lebensjahr. Schließlich endet die Erkrankung ja auch nicht mit dem 12. Lebensjahr, sondern begleitet die meisten Betroffenen in ihrem „Lebensrucksack“, da diese nach heutigem Stand der Wissenschaft noch immer nicht heilbar ist.

haut.de: Abschließend noch eine Frage aus dem Kontext „Corona“. Zeigen sich nach Ihrer Einschätzung die pandemischen Effekte des Corona-Virus auch an der Haut, insbesondere bei Neurodermitikern?

Sonja Dargatz: Natürlich stellt die Corona-Pandemie seit ihrem Beginn fortwährend Herausforderungen an unsere Haut. Hautgesunde, die vormals keine Neurodermitis bei sich kannten, leiden auf einmal unter gereizter, geröteter Haut, hauptsächlich im Gesicht infolge des Mund-Nasen-Schutzes (MNS) oder an den Händen infolge einer verstärkten Handhygiene. Chronisch Hauterkrankte, also Menschen, die bereits vor der Corona-Pandemie an Neurodermitis litten, erfuhren und erfahren in vielen Fällen eine Verschlimmerung ihres Hautzustandes, weil der MNS die Haut im Gesicht zusätzlich reizen, trockene Augen und Lippen auslösen oder verstärken kann. Weiter können Wärmestau und eine Blockierung des Schweiß-Wärme-Austausches durch das Tragen des MNS auftreten und Streureaktionen im Gesicht und am Hals bewirken.

Auch die Psyche von Neurodermitis-Betroffenen kann von der anhaltenden Corona-Pandemie negativ beeinflusst werden.

haut.de: Herzlichen Dank für das Interview!

Petition: Dermatika sollen endlich Kassenleistung werden

Aktuell haben über 48.000 Menschen diese digitale Petition unterstützt, das nächste Ziel ist die Überwindung der 50.000er Marke, bevor die Petition dem neuen Gesundheitsminister persönlich in Berlin übergeben werden soll.

Zur Petition

Petition: Dermatika sollen endlich Kassenleistung werden (www.neurodermitis-bund.de)

Quelle: haut.de

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